Donnerstag, 4. Februar 2010

Telefonreanimation - eine Pflichtaufgabe für Leitstellen!?

Aus der Statistik wird abgeleitet dass auf 170, zumeist junge Teilnehmer, eines Erste Hilfe Kurses eine tatsächliche Reanimation fällt. Mit der stetig wachsenden Zeitspanne zwischen Kurs und tatsächlichem Anwenden des erlernten schwinden auch die Erinnerungen und somit die Sicherheit und das Vertrauen in sich selbst.

Bereits 1976 wurde der erste Fall in den USA bekannt bei dem ein Disponent erfolgreich eine Reanimation am Telefon angeleitet hat. Seit 2005 ist die Telefonreanimation fester Bestandteil der Ausbildung zum Leitstellendisponenten in Braunschweig und Leipzig.

Kann man sich, angesichts der Lage dass auch Köln, Berlin und Hamburg recht offensiv mit der Telefonreanimation umgehen, weiter verstecken? Oder sollte man den Schritt nach vorne wagen und die Initiative ergreifen?

Einen Blick auf die häufigste Situation einer Reanimation gerichtet wird schnell klar, der Patient ist gesetzteren Alters, in häuslicher Umgebung zusammen gebrochen und der Meldende ist die, ebenfalls älter Ehefrau. Diese Konstellation bedarf einer kurzen knappen Anleitung zu einer erfolgreichen Reanimation, nicht der Unwille sondern die Unsicherheit halten den Menschen vom Helfen ab.

Die Chance einen außerklinischen Herzstillstand zu überleben lag 1999 bei 3,9%, durch die Verwendung von vollautomatischen Defibrilatoren stieg diese Zahl auf 5,2%. Somit konnte bereits durch die Verwendung von AED Geräten eines von 120.000 Leben gerettet werden [1]. Doch die Zeit bis zum eintreffen der ersten fachlichen Hilfe, meist dem Rettungsdienst, darf nicht ungenutzt verstreichen. Die Laienreanimation hat mehr denn je an Wichtigkeit gewonnen und wurde in den letzten Jahren stark vereinfacht [2]. Hinzu kommt dass sich immer mehr Hinweise verdichten eine Basisreanimation vor der ersten Defibrilation verbessere das Outcome des Patienten [3].

Der Beatmung wird, zumindest in den ersten 10 Minuten, eine mindere Bedeutung zugeschrieben. In Tierversuchen hat sich gezeigt das auch nach 30 Minuten effektiver Reanimation ohne Beatmung die Gehirnfunktion nahezu zu 100% wieder hergestellt werden konnte [4].

An der Uni Leipzig hat Dr. Marung eine Studie veröffentlicht aus der abzuleiten ist dass die Entlassrate bei durch Laienhelfer reanimierten Patienten um nahezu 40% steigt, bei Patienten mit Kammerflimmern hat sich die Entlassrate nur durch die angeleitete Telefonreanimation um 11,4% erhöht [5].

Bereits heute erwerben > 80% der auf dem Land lebenden jungen Erwachsenen einen Führerschein und somit eine Erste Hilfe Ausbildung zu dessen Inhalt die Herz-Lungen-Wiederbelebung gehört. Im Kurs werden Beatmung und Herz-Druck-Massage an einer Puppe praktisch unterrichtet und geübt. Rechnet man die betrieblichen Ersthelfer und die anderweitig ausgebildeten Menschen dazu kann man von einer flächendeckenden Verfügbarkeit von potentiellen Ersthelfern ausgehen.

Weitere Zahlen und Fakten ergeen sich aus dem Vortrag von Dr. Plock, ärztlicher Leiter RD der Stadt Leipzig [6]

Streitpunkt, wie bei nahezu allem in unserer Gesellschaft, ist die Rechtssicherheit. Hierzu gilt, ebenfalls aus dem Vortrag von Dr. Marung [5], der Leitsatz des Vorsitzenden Richters am Verwaltungsgericht Hannover, M. R. Ufer, „Die Gabe von Erste-Hilfe-Hinweisen durch eine RLS ist grundsätzlich als weitere Aufgabe zulässig"

Weitere rechtliche Aspekte sind die Pflicht zur Hilfeleistung im Rahmen des Möglichen die sich aus §323 C STGB ergibt [7], die Feststellung des Bundesgerichtshofs im Jahr 2001 (1 Str 130/01) für den Rettungsdienst [8] sowie die allgemeine Garantepflicht [9].

Und es funktioniert. Beweise gibt es zu genüge, unter anderem die Pressemitteilung aus München:

Gleich zweimal binnen kurzer Zeit leitete ein Disponent der Integrierten Leitstelle München am gestrigen Abend Wiederbelebungsmaßnahmen per Telefon an. Gegen 20.49 Uhr sackte eine 29-jährige Frau vor der Wohnungstür ihrer Nachbarn in der Thelottstraße zusammen. Bis zum Eintreffen des Notarztteams Nord begannen die Nachbarn unter Anweisung des Disponenten mit der Wiederbelebung der jungen Frau. Sie konnte nach der notärztlichen Versorgung kreislaufstabil in eine Münchener Klinik eingeliefert werden. Gegen 21.00 Uhr ging erneut ein Anruf bei dem gleichen Disponenten ein, nachdem ein 40-jähriger Mann von seiner Lebensgefährtin leblos aufgefunden wurde. Auch sie begann unter Anleitung des ausgebildeten Rettungsassistenten mit den lebenserhaltenden Sofortmaßnahmen bis zum Eintreffen des Notarztteams Nordwest.

Was sich als unerlässlich heraus gestellt hat ist das vorhandensein einer klaren Anleitung. Die Anleitung muss für den Laienhelfer gezielte Anweisungen enthalten und für den Disponenten leicht zu vermitteln sein. Des weiteren muss im Vorfeld schon der Weg zu einer erfolgreichen Reanimation geebnet sein, soll heißen. In modernen Leitstellen arbeit man nicht mehr mit Telefonhörern, hier gehören Headsets hin. Die vorhandene Telefonanalge muss so konfiguriert werden dass der Anrufer stets zu hören ist, auch wenn der Funkverkehrskreis besprochen wird.

Nach Abfrage der Ortsdaten muss die Alarmierung erfolgen, davon ist der Anrufer zwingend in Kenntnis zu setzen. Ab jetzt dürfen nur noch klare Anweisungen erfolgen. Eine Frage beinhaltet sofort eine Antwortmöglichkeit des Anrufers welcher sich sofort unsicher wird und dem Disponenten auch eine eigene Unsicherheit unterstellt. Die erste Anweisung kann in folgender Form erfolgen:

Ich sage Ihnen was Sie tun müssen. Bleiben Sie unbedingt bis zum Ende meiner Erklärung am Telefon. Ich lege erst auf wenn meine Kollegen da sind.

Legen Sie den Patienten auf dem Boden auf den Rücken! Knien Sie sich seitlich neben den Patienten, legen Sie eine Hand auf die Stirn und eine unter das Kinn. Kippen Sie den Kopf extrem weit nach hinten und achten Sie auf Atemgeräusche. Kommen Sie danach zurück ans Telefon.

Sollte nun der Patient über eine Eigenatmung verfügen ist die stabile Seitenlage das Mittel der Wahl um die Atemwege frei zu halten.

Knieen Sie sich wieder neben den Patienten, strecken Sie seine Beine aus. Den nahen Arm des Patienten angewinkelt nach oben legen, den entfernten Arm an die nahe Wange legen und halten. Anschliessend das entfernte Bein anwinkeln und den Patienten zu sich hin drehen. Stabilisieren Sie den Patienten mit Hilfe der Beine und des nahen Armes.

Sollte der Patient über keine Eigenatmung verfügen ist eine Reanimation angezeigt.

Knieen Sie sich seitlich neben den Patienten. Legen Sie Ihre Handballen übereinander in die Mitte des Brustkorbs, in Höhe der Brustwarzen. Drücken Sie mit ausgestreckten Armen so tief und so schnell Sie können. Drücken Sie bis meine Kollegen da sind, zählen Sie laut mit, ich bleibe am Telefon.

Eine Übermittlung der Anweisungen über dritte birgt immer das Risiko des Informationsverlustes oder der Falschinformationen. Der Disponent sollte sich gut überlegen ob er einen dritten mit in die Reanimation einbezieht.

[1] http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=27291

[2] http://www.aerztezeitung.de/medizin/krankheiten/herzkreislauf/herzinfarkt/article/473364/acht-einfache-regeln-angehoerigen-reanimieren-leicht-gemacht.html

[3] http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=0.7.47.3652

[4] http://www.laienreanimation.de/index.htm

[5] http://www.uni-leipzig.de/~kard/kard/veran/notfall/download/nft_11_Dr_Marung_Telefonreanimation.pdf

[6] http://www.uni-leipzig.de/~kard/kard/veran/notfall/download/nft_12_Dr_Plock_Telefonreanimation_Stand_Leipzig.pdf

[7] Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

[8] „Nehmen Rettungssanitäter ihre Aufgabe wahr, entsteht ein Obhutsverhältnis gegenüber dem Betroffenen, das wesentlich von der Pflicht bestimmt ist, diesen vor weiteren gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu bewahren (Garantenstellung durch die tatsächliche Übernahme der Gewähr für das Rechtsgut Gesundheit).“

[9] http://www.recht-im-rettungsdienst.de/de/im_einsatz/strafrecht_im_rettungsdienst/garantenpflicht/?PHPSESSID=88bsh8kbc3p28lafnauqgie072

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